Letzte Arbeitsprobe mit Demis Volpi und Miquel Martinez Pedro zu „Surrogate Cities“

Der Tänzer und sein Choreograph

Es scheint, dass Heiner Goebbels Werk „Surrogate Cities“ von 1994 zur Abschiedshymne des Westens wird, denn 2014 beendete Goebbels mit „Surrogate Cities Ruhr“ seine Amtszeit als Leiter der Ruhrtriennale. Und nun, zehn Jahre später, verabschiedet sich Demis Volpi vom Westen der Republik, vom Rhein, von Düsseldorf und Duisburg, von seinem Publikum und vom Ballett am Rhein mit einer neuen Choreographie zum Klangteppich der Surrogate Cities.

Zu dieser letzten Arbeitsprobe des scheidenden Ballettchefs waren viele interessierte Ballettfreunde in Studio 1 erschienen. Auf der Probenfläche hingegen war es weniger voll, probte doch Demis Volpi „nur“ ein Solo mit Miquel Martinez Pedro, wie er in der Begrüßung fast entschuldigend ankündigte. Auch gäbe es eine „stille“ Arbeitsprobe zu beobachten, führte er weiter aus, ohne nennenswerte Musikeinspielungen. Nur einmal an diesem Abend warde nn auch ein kleiner Ausschnitt des furiosen Klang- Zyklus von „Surrogate Cities“ zu hören, gegen Ende der Arbeitsprobe, als das einstudierte Solo in einem Durchlauf getanzt wurde.

Die Ballettfreunde hatten wieder einmal die exklusive Gelegenheit, einen sehr stillen und konzentrierten Moment bei der Entstehung einer komplexen Choreographie erleben zu dürfen. Wenn es auch im Format „Tanz Mit“ heißt, dass alles leichter getanzt als gesagt sei, so kamen in dieser Arbeitsprobe doch leichte Zweifel auf, ob wirklich alles ,was gesagt wird ,so leicht in Tanz umzusetzen ist.





Miquel Martinez Pedro ist nicht nur Spiegel der leise vorgetragenen Anweisungen von Demis Volpi . Hier wird nicht nur das Gesagte, sondern v.a. das Gemeinte in Ausdruck umgesetzt. Er setzt jeden Satz, jeden Hinweis, jedes Wort, jedes Ausrufezeichen konzentriert in Bewegung um. Empathisch antizipierend, manchmal auch nachfragend entwickeln sich kraftvolle, geschmeidig fließende, intensive oder auch disruptive Bewegungsabläufe, die am Ende unter den Klängen eines kleinen Ausschnitts von „Surrogate Cities“ zu einem selbstverständlich vorgetragenen Solo werden. Miquel Martinez Pedro zeigt einmal mehr, dass er ein Ausnahmetänzer ist. Der große Applaus der Zuschauer gilt am Ende der Einstudierung zunächst einmal nur ihm.

Die erste Frage, die Julia Schinke im anschließenden Gespräch an Demis Volpi stellt, ist die nach den Beweggründen. Warum wählt man eine 1994 entstandene Komposition von Heiner Goebbels als Basis für die letzte Choreographie in Düsseldorf?
Demis Volpi nennt zum einen die Faszination, die für ihn von diesem musikalischen Werk ausgeht. Und zum anderen will er seine Zeit am Rhein nicht mit einem Blick zurück, sondern mit einem Blick nach vorn beenden. Er betont, dass er in den letzten vier Jahren als Ballettdirektor mit der Compagnie immer wieder Risiken eingegangen ist, dass man vieles anders als erwartet auf die Bühne gebracht hat, von dem manches gut gelungen sei, anderes sei Experiment geblieben. „Zum Abschluss wollte ich noch einmal einen Schritt gehen in eine Richtung, die uns fremd ist, in andere Universen.“
Surrogate Cities besteht für ihn aus einem großen Kaleidoskop extremer Kontraste, die er gemeinsam mit den 45 Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Rhein in eine Choreographie übertragen will, in choreographische Sequenzen , wo die Fragilität des Einzelnen gegen die Kraft des Kollektivs bestehen muss. Als Anregung dienen Demis Volpi die unterschiedlichen Sprachen und auch die verschiedenen Tanzsprachen , die die Compagnie ausmachen. So entsteht eine große Vielfarbigkeit, ein Gegen-und Miteinander verschiedener Stimmen und Menschengewirre. Es gibt Massenszenen, aber auch stille Momente. Dem Werk Surrogate Cities liegen Texte von Paul Auster, Hugo Hamilton und Heiner Müller zugrunde, die z.T. von einer Sängerin vorgetragen werden. Die Instrumente lautmalen die Texte und die Tänzer*innen tanzen diese Texte, denn um Klänge zu erzeugen, braucht es die Körperlichkeit des Tanzes, so Demis Volpi.
Auf die Frage, was für ihn der Titel bedeutet, führt Demis Volpi aus, dass er keine konkrete Stadt für die Choreographie und die Gestaltung des Bühnenraums vor Augen habe. Er begründet dies damit, dass Städte für ihn austauschbar und ersetzbar sind .So verstünde er auch den Titel Surrogate Cities. Städte seien ein Konstrukt, das ohne Menschen keinen Sinn habe. In jeder Stadt seien die Menschen wichtiger als der Ort. Gerade heute würden anders als zu früheren Zeiten Gebäude nicht mehr für die Ewigkeit gebaut, die Städte von heute unterliegen einem stetigen Wandel. Und diesen Wandel habe man auch in der gemeinsamen Arbeit zugelassen. Die Entwicklung von Surrogate Cities sei ein großes Experiment mit vielen Variablen. Man habe (noch) viele Baustellen, es geht über den Orchestergraben, auf der Bühne sitzt ein großes Percussions-Orchester, für das der Orchestergraben viel zu klein ist. Wie navigiert man 45 Tänzerinnen und Tänzer über diesen Bühnenraum? Und manchmal muss man alle Koordinaten wieder verschieben, immer wieder etwas Neues erfinden.
Zum Abschluss des Gesprächs fragt Julia Schinke, welchen Wunsch Demis Volpi für seine letzte Produktion in Düsseldorf habe. Hier formuliert Demis Volpi die Hoffnung, zu seinem Abschluss in Düsseldorf etwas auf die Bühne zu bringen mit einer Qualität, die anregt zum Austausch. Das gemeinsame Erleben im Theater, dem einzigen Ort heutzutage, wo man sich hinbegebe, um zunächst zuzuhören, wo man still sitzen müsse, sei so selten und wichtig geworden. Gemeinsam zu schweigen, um sich anschließend auszutauschen über eine Welt, die sich gerade erschlossen hat und zu Diskussionen anregt… das sei ihm wichtig.
Aber zunächst müssten er und die technische Einrichtung das Problem lösen, wie in den Massenszenen die gesamte Compagnie auf die Bühne gelangt.
Es bleibt also spannend, ob bis zur Premiere am 26. April alle Beteiligten den Weg auf die Bühne gefunden haben.

Die Ballettfreunde danken Demis Volpi und Julia Schinke für das angeregte und offene Gespräch.

Surrogate Cities
Premiere am 26.4.2024 in Düsseldorf

Musikalische Leitung : Vitali Alekseenok
Choreographie: Demis Volpi
Musik: Heiner Goebbels
Bühne: Katharina Schlipf
Kostüme: Thomas Lempertz
Licht : Elana Siberski
Dramaturgie : Julia Schinke

Hinweis : An den Ballettständen kann man die CD „Surrogate Cities“ von Heiner Goebbels (ECM 1688) für 20 € erwerben.

Weitere Informationen zu „Surrogate Cities“

Text: Renate Raeune; Fotos: Renate Weber-Zangrandi, Erich Kutzera