Zwei Arbeitsproben und ein Choreographinnen-Gespräch über Zoom

Das Vereinsleben geht weiter - trotz Covid-19

Die Theater- und Opernhäuser sind (noch) geschlossen. Ebenso die Konzertsäle, die Museen und die Kinos. Das Kulturleben liegt brach. Nicht ganz, denn das Internet und die computergestützten Kommunikationsplattformen wie Skype, Teams oder Zoom bieten Ausweichs- und Ausgleichsmöglichkeiten. Alle großen Häuser liefern inzwischen entsprechende Angebote zur virtuellen Teilnahme. Zwar ist eine Ballettaufführung über den heimischen Fernseher oder Laptop nicht gleichzusetzen mit dem Erlebnis derselben Aufführung in einem Opernhaus, aber es hilft, die kulturlose Zeit zu überbrücken und die Corona-Depression in Grenzen zu halten.

Demis Volpi hat sein Stück „A simple piece“, dessen Premiere wir noch live im Opernhaus erleben konnten, nun auch über Operavision ins Netz gestellt in einer neuen Fassung, bei der die Kamera von Ralph Goertz Teil des Ensembles ist. Hier wird die Choreographie aus einer für die Zuschauer ganz neuen, ungewohnten Perspektive erfahrbar. Wir befinden uns mit der Compagnie auf der Bühne. Eine intensive Erfahrung also, die man bei einer Bühnenaufführung nicht erreichen könnte und die erst durch die filmische Umsetzung möglich geworden ist.
Das Video lässt sich bis zum 5. Juni 2021, 12:00 Uhr anschauen über den Link:

https://operavision.eu/de/bibliothek/auffuehrungen/tanz/simple-piece-deutsche-oper-am-rhein.

Neue Erfahrungen machten die Ballettfreunde auch mit der ersten virtuellen Mitgliederversammlung am 28. Januar 2021, die per Zoom ohne technische Pannen und auch ansonsten problemlos über den Bildschirm ging.
Der Dank der Ballettfreunde gilt besonders der Sprecherin der Compagnie, Feline van Dijken, die an der Versammlung bis zum Schluss teilnahm. Dank auch an Demis Volpi, der ein persönliches Grußwort an die Versammlung richtete.

Der Vorstand hält schon seit Monaten seine Sitzungen ausschließlich virtuell ab, was zu einer größeren zeitlichen Flexibilität geführt hat. Niemand muss ins Balletthaus anreisen, die Teilnahme erfolgt bequem über den eigenen Computer von Zuhause aus.

Damit auch der wichtige Teil des Vereinslebens aktiv bleibt, der sich auf die Compagnie und ihre künstlerische Arbeit bezieht, haben sich Demis Volpi und sein gesamtes Team mächtig ins Zeug gelegt. Es wurden in diesem Jahr bereits zwei Arbeitsproben und ein Choreographinnen-Gespräch exklusiv für die Ballettfreunde über Zoom zugänglich gemacht.

Das dritte „Erste Date“

Schon im Dezember 2020 wurde zum ersten Mal eine Veranstaltung aus dem Studio 1 des Balletthauses gestreamt. Da die für den 27. November geplante Vorstellung weiterer Tänzer der Volpi-Compagnie - das „Dritte Erste Date“ - als Veranstaltung mit Publikum abgesagt werden musste, holte Demis Volpi das „Welcome“ am 10. Dezember virtuell nach.

Er präsentierte fünf Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie. Den Ballettfreunden aus früheren Spielzeiten bereits bekannt waren Feline van Dijken, Marié Shimada und Daniel Smith. Neu in der Compagnie sind Futaba Ishizaki und Gustavo Carvalho.

Futaba kommt aus Tokio und besuchte unter anderem die Hamburg Ballet School John Neumeier, wo sie u.a. von Marianne Kruse und Kevin Haigen unterrichtet wurde. Sie tanzte auch im Hamburg Ballett von Neumeier, im Houston Ballet und im Ungarischen Nationalballett Budapest.

Demis Volpi erzählte von einem Telefonat mit Futuba, bei dem er das Gefühl hatte: „Egal, was ich ihr sage, sie wird nach Düsseldorf kommen.“

Doch statt Futuba kam zunächst eine lange Mail von Marianne Kruse mit einer Empfehlung für Futuba. Und von da an war es mit dem Engagement in Düsseldorf nicht mehr weit.

Gustavo Carvalho stammt aus Brasilien und war nach einem Engagement an der Brazilian Ballet Company bereits Erster Solist beim National Ballet of Uruguay. Obwohl er in Uruguay schon ein bekannter Tänzer ist und große Rollen wie den Prinzen Siegfried in „Schwanensee“, den Don José in „Carmen“ oder den Romeo in „Romeo und Julia“ getanzt hat und mit einer Reihe von Tanzpreisen ausgezeichnet worden ist, war er sofort bereit, dem Angebot aus Düsseldorf zu folgen. Er habe neue Erfahrungen machen und in Europa tanzen wollen, begründete Gustavo seinen Entschluss, in die Volpi-Compagnie zu kommen.

Feline van Dijken, Marié Shimada und Daniel Smith muss man nicht mehr vorstellen. Sie sind den Ballettfreunden seit Jahren bekannt.

Arbeitsprobe und Choreographinnen-Gespräch mit Aszure Barton zu „Come In“

Am 25. Februar wurde aus dem Balletthaus eine Arbeitsprobe mit der kanadischen Choreographin Aszure Barton gestreamt, dem am 3. März ein Gespräch der Dramaturgin Carmen Kovacs mit der Choreographin zu deren Stück „Come In“ folgte. Alban Pinet bewerkstelligte die Übersetzungen zwischen Englisch und Deutsch.

Bevor wir in das Gespräch auszugsweise hineinhören bzw. hineinlesen, hier eine kurze Anmerkung von Carmen Kovacs zur Biographie von Aszure Barton:

„Mit „Come In“ hat die kanadische Choreographin Aszure Barton (in ausschließlich männlicher Besetzung) eine poetisch leise, aber dringlich nachwirkende Arbeit in die Welt gesetzt – der Entwurf einer Gesellschaft, die in friedlich spielerischem Miteinander existiert. Auf dem Fundament einer klassischen Bewegungssprache stellt sie die Frage, wie wir miteinander leben wollen. Die gleichnamige Komposition für Streichorchester von Vladmir Martynov verstärkt den verträumten und friedlichen Charakter der Choreographie.
Aszure Barton erhielt ihre Ausbildung an Canada’s National Ballet School in Toronto. Sie kreierte u.a. für das American Ballet Theatre, das Nederlands Dans Theater, das National Ballet of Canada, die Martha Graham Dance Company, das Bayerische Staatsballett und das English National Ballet. 2005 war sie Choreographer in Residence am Baryshnikov Arts Center in New York.“

Aszure Barton lebt – nach 17 Jahren Aufenthalt in New York - nun in Los Angeles, wo sie ihre eigene Compagnie „Aszure Barton & Artists“ aufgestellt hat.

Aszure Barton über den Hintergrund für ihr Werk „Come In“:

“2005 habe ich für das Baryshnikov Arts Center eine Choreographie für 13 junge Tänzerinnen und Tänzer kreiert. Das Stück hieß „Overcome“. Misha – also Mikhail Baryshnikov – hat mich bei dieser Arbeit begleitet und unterstützt. Er bat mich dann, ein Stück für ihn selbst zu schreiben. Einige Zeit später schenkte er mir die CD mit der Komposition „Come In“ von Vladimir Marynov. Er hatte diese Musik gehört, fand sie interessant und wollte mich darauf aufmerksam machen.

Im Jahr darauf, also 2006, rief Misha mich aus Florida an. Er fragte, ob ich nicht Lust hätte, dorthin zu kommen und mit ihm in einem Studio zu arbeiten und einfach zu sehen, was sich aus diesem Prozess als Solo für ihn entwickeln würde. Sobald ich mit ihm im Studio war, wurde mir klar, wenn ich die Musik von Martynov benutzte, dann in einem Stück mit Misha.“

Und so entwickelte sich in einem Ballettstudio in Florida eine kreative, an keine Vorgaben gebundene und für keine konkrete Aufführung gedachte Zusammenarbeit.

„Wir waren nur zu dritt im Studio. Misha, ein Assistent von mir und ich. Ich dachte, was zum Teufel soll ich für diesen Mann kreieren, der schon so viele Stücke getanzt hat. Das war eine Belastung. Ich habe mir dann gesagt: Das Stück muss schlicht und ehrlich sein. Ich habe unsere Proben auf Video aufgenommen und mir sind die sich wiederholenden Bewegungen von Misha aufgefallen, die er zwischen den Tanzproben zeigte. Es waren immer die gleichen Bewegungsabfolgen. Wir haben ja alle unsere eigene Körpersprache. Ich habe dann nichts von dem genutzt, was ich bis dahin als Tanz geschaffen hatte, sondern konzentrierte das Werk auf das, was ich als die ehrlichste Körpersprache empfand, die von ihm ausging.“

Baryshnikov machte eine klare Ansage zur Arbeitsteilung:

„Du bist die Direktorin, ich bin der Tänzer. Behandele mich bitte nicht anders. Erwarte nicht, dass ich dir Antworten gebe. Sei so, wie du immer bist.“

Aszure Barton:
„Ich war skeptisch, ob das klappen würde. Er war einer der berühmtesten Tänzer der Welt und hatte eine großartige Karriere hinter sich. Aber er wollte nur Einer von Vielen sein. Präsent, aber unsichtbar. Das war auch der Grund, warum ich in die Choreographie dann noch weitere Tänzerinnen und Tänzer aufgenommen habe. Misha ist ein Teammensch und er unterstützt gerne die Arbeit anderer. Ich musste ihn in dem Stück nicht auf ein Podest stellen, er hat sich in die Arbeit mit den anderen Tänzerinnen und Tänzern eingefügt. Alle haben ihre Stimme in dem Stück. Es war ein sehr demokratischer Arbeitsprozess.

„Come In“ wurde dann zwei Jahre lang aufgeführt und anschließend von Aszure Barton „in eine Art Aufbewahrungskiste“ weggeschlossen, weil sie es als charakteristisch für eine bestimmte Zeitperiode hielt, für eine Arbeit mit bestimmten Personen und natürlich für ihre Arbeit mit Mikhail Baryshnikov.

„Erst später habe ich erkannt, dass das Stück stärker ist als sein bloßer Zeitbezug. Etwa 2014 habe ich es mir wieder angeschaut und gemerkt, dass die Menschlichkeit, die dem Stück innewohnt, nicht an die Menschen gebunden ist, die es damals aufgeführt haben. Die Struktur des Werks funktioniert auch heute.“

Die ursprüngliche Besetzung von „Come In“ bestand aus einem gemischt weiblich/männlichen Ensemble. 2014 wurde Aszure Barton eingeladen, für das National Ballet in Kanada ein Stück zu kreieren, das zusammen mit Balanchines „Serenade“ aufgeführt werden sollte. Da in „Serenade“ nur Tänzerinnen auftreten, bat man Aszure, ein Stück zu schaffen mit einer ausschließlich männlichen Besetzung.

„Ich dachte, das ist eine gute Möglichkeit, „Come In“ entsprechend zu besetzen. Und in dem Moment, als ich im Studio war, wusste ich, dass es eine sehr glückliche Fügung war. Ich habe in meinem Leben nicht oft die Erfahrung gemacht, nur mit Männern in einem Raum zu sein und eine Sensibilität und Ruhe zu erfahren, die ich als kraftvoll empfinde. Wir schaffen hier einen Raum, in dem man zuhört. Es gibt natürlich auch spielerische Momente, wenn die Tänzer bei sich selbst sind, aber es ist eine starke Erfahrung die Stille zu spüren, die eine Gruppe Männer in dem Stück erschafft. Wir spüren ja nicht häufig Geduld in einem Raum voller Männer. Wir sprechen häufig aneinander vorbei und schaffen keinen Raum für das gegenseitige Zuhören. Jeder der Tänzer hat die Fähigkeit wahrzunehmen und zuzuhören. Und das gegenseitige Geben und Nehmen ist wichtig für das Stück. Wir wollen erreichen, dass die Menschlichkeit, die wir hier im Studio schaffen, auch auf die Bühne transportiert wird.“

Arbeitsprobe mit Twyla Tharp zu ihrem Stück „In C“ (oder „Commentaries on a floating world“)

Am 9. März hatten die Ballettfreunde die Möglichkeit, einer Ikone des zeitgenössischen Tanzes, nämlich Twyla Tharp, bei einer Arbeitsprobe zuzuschauen. Twyla Tharp vollendet im Juli ihr 80. Lebensjahr.

Carmen Kovacs schreibt über sie:

„Durch das Zusammendenken von klassischem Tanz und Modern Dance entwickelte sie spätestens in den 1970er Jahren eine Art wilde Eleganz, einen zugänglich lässigen und humorvollen Stil, der das Ballett maßgeblich beeinflusste. Nicht nur mit den zahllosen für ihre 1965 gegründete Twyla Tharp Dance Compagnie geschaffenen Arbeiten erreichte sie Weltruhm. Auch für Institutionen wie das American Ballet Theatre, das Ballet de l’Opéra de Paris, The Royal Ballet London, das New York City Ballet, The Boston Ballet, The Martha Graham Dance Company und etliche mehr schuf Twyla Tharp einen unvergleichlichen Schatz an Stücken. Ebenso bilden Broadwayshows und ihre Arbeit mit Filmregisseuren wie Milos Forman an international erfolgreichen Produktionen wie beispielsweise „Hair“ oder „Amadeus“ einen Teil ihres kreativen Lebenswerks.“

Nach einer Einführung in das Stück durch Carmen Kovacs führte Oliver Königsfeld die Ballettfreunde mit der Kamera in den Zuschauerraum des Opernhauses. Dort war ein Regiepult aufgebaut mit zwei Monitoren. Ein Monitor zeigte die Bühne, auf der die Tänzerinnen und Tänzer mit dem leitenden Ballettmeister Damiano Pettenella arbeiteten, der zweite Bildschirm zeigte Twyla Tharp, die aus ihrer New Yorker Wohnung Anweisungen für die Choreographie gab. Im Stream waren die beiden Bilder nebeneinander zu sehen, so dass die Ballettfreunde gut die jeweiligen Reaktionen der Compagnie und Twyla Tharps aufeinander verfolgen konnten.

Beeindruckend waren die Energie und der Witz von Twyla Tharp bei der Probe. Blitzschnell formulierte sie Ideen und Anweisungen, die sie dann oft ebenso schnell wieder verwarf. Sicherlich keine leichte Arbeit für das Team in Düsseldorf, denn besonders geduldig zeigte sich die Choreographin nicht, wenn aufgrund der komplizierten technischen Umstände aus Düsseldorf nicht sofort reagiert wurde. Und ihre - nicht immer sensiblen - Späße gingen häufig auf Kosten einzelner Compagniemitglieder.

Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Situation es zulässt, sowohl „Come In“ von Aszure Barton wie auch „In C/Commentaries on a floating world“ von Twyla Tharp bald auf den Bühnen in Düsseldorf und Duisburg erleben zu können. In der Pipeline hängen auch die schon fertig geprobten Werke „Salt Womb“ von Sharon Eyal und „Geschlossene Spiele“ von Demis Volpi.

Text: Axel Weiss; Fotos: Oliver Königsfeld; Screenshots: Erich Kutzera, Axel Weiss