Ein Gespräch mit Demis Volpi und seinem Team

Arbeitsprobe „Der Nussknacker“

„Der Nussknacker“ ist eines der, wenn nicht das meistgespielte und populärste Ballett, das von vielen Häusern regelmäßig in der Weihnachtszeit aufgeführt wird. Es basiert auf dem Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ von E.T.A. Hoffmann, das 1816 erschienen ist.

Peter Tschaikowsky erhielt den Auftrag, die Musik zu schreiben. Die Uraufführung des Stücks fand am 18. Dezember 1892 im Mariinski-Theater in Sankt Peterburg statt.
Das Libretto und die Choreographie wurden von der Kritik ziemlich gebeutelt. Nur Tschaikowskys Musik fand Anklang. Ein Kritiker befand:
…es ist ein Jammer, dass so viel schöne Musik verschwendet wird an einen Unsinn, der es gar nicht wert ist, beachtet zu werden…
Der nämliche Kritiker merkte an, dass Tschaikowskys Musik „freilich nicht für das normale Ballettpublikum“ sei. Eine Einschätzung, die sich im Laufe der Ballettgeschichte als wenig tragfähig erwiesen hat.

Demis Volpi hat den „Nussknacker“ schon 2016 für das Ballett in Antwerpen choreographiert. Bereits damals mit Katharina Schlipf, die auch in der Düsseldorfer Aufführung für Kostüm und Bühne verantwortlich zeichnet.

In der von Dramaturg Maurice Lenhard wunderbar moderierten Gesprächsrunde für die Ballettfreunde erinnerten sich Demis Volpi und Katharina Schlipf zunächst an ihr erstes Treffen.

Demis Volpi:
„Katharina und ich haben uns 2010 in Stuttgart kennengelernt. Ich hatte den Auftrag erhalten, für die Ballettschule ein Stück für 54 Tänzerinnen und Tänzer aller Altersstufen zu erarbeiten, das dann „Der Karneval der Tiere“ wurde. Ich suchte dafür eine neue künstlerische Partnerin für die Ausstattung. Mir wurde eine gewisse Katharina Schlipf genannt, die gerade an der renommierten Kunstakademie in Stuttgart ihr Studium abgeschlossen hatte. Ich werde nie vergessen, wie Katharina in der Kantine voller Energie auf mich zugekommen ist mit ihrer riesigen Mappe und sofort angefangen hat, mir Figurinen zu zeigen, ihre Entwürfe und Ideen. Wir haben uns an diesem Tag lange in der Kantine unterhalten und es war sehr schnell klar, dass wir dieses Stück zusammen machen wollten.

Danach kamen dann viele gemeinsame Arbeiten. Etwa für das Badische Staatsballett in Karlsruhe; wir haben in New York zusammengearbeitet, Katharina hat dann die Kostüme und die Bühne für mein erstes abendfüllendes Stück „Krabat“ gemacht. Wir haben beim „Nussknacker“ in Antwerpen zusammengearbeitet, auch bei „Salome“ und „Der Tod in Venedig“. Daraus ist eine sehr intensive Partnerschaft entstanden, die aber nicht immer einfach ist, weil wir uns gerne über Inhalte streiten. Ich finde das sehr bereichernd, dass da jemand mit im Team dabei ist, der immer wieder neue Akzente setzt und mich auch immer wieder herausfordert.“

Zur Arbeit an der „Nussknacker“-Inszenierung merkte Demis Volpi an:

„Wir haben uns dieses Stück angeschaut und gemerkt, dass das Libretto große Schwächen hat. Der ganze zweite Akt mit den Divertissements ist höchst problematisch. Deshalb war die erste Frage, die wir uns gestellt haben: Wie kann man dem zweiten Akt einen dramaturgischen Zweck geben? Wie kann man durch den zweiten Akt die psychologische Entwicklung von Klara und vom Nussknacker weiterführen? Und wie können wir – obwohl es revuehaft bleibt – einen Weg finden, durch den man in die Psychologie dieser Figuren eintauchen kann? So ist uns dann die Idee gekommen, dass wir die Coming-of-Age-Geschichte der Klara, die irgendwo zwischen Mädchen und Frau steht, ernst nehmen. Auch ihre Ängste und Träume ernst nehmen. E.T.A. Hoffmann beginnt mit dem „Nussknacker“ in der Literatur etwas ganz Wichtiges. Es ist wahrscheinlich eins der ersten Bücher, in dem Kinder als vollkommene Figuren dargestellt werden. D.h. Kinder sind nicht einfach nur Schablonen und haben sich zu benehmen. Den Kindern wird vielmehr zugehört, man spricht mit ihnen. Es wird über ihre Ängste und Träume gesprochen. Eine solche ernste Wahrnehmung von Kindern gab es bis dahin gar nicht. Man könnte sogar sagen – um es etwas zu übertreiben – dass in dieser Zeit, in der man sich stark mit Psychologie befasste, die Adoleszenz eingeführt worden ist. Das gab es früher nicht. Man war entweder Kind oder musste arbeiten und als Erwachsener funktionieren.“

„Obwohl der „Nussknacker“ als Weihnachtsstück mit einer gewissen Leichtigkeit über die Bühne kommen sollte, muss man der Figur von Klara eine Chance geben, sich zu entwickeln. D.h. im zweiten Akt kehren all die Figuren des ersten Akts, die Mütter, die Tanten, die Cousins, die Törtchen, die Weihnachtslichter als vergrößerte und übertriebene Versionen von sich selbst zurück. Dadurch können wir Klara und den Nussknacker durch den zweiten Akt führen. Es geht auch bei der Figur des Nussknackers um eine Coming-of-Age-Geschichte. Die beiden finden sich und befreien sich gegenseitig. Klara gibt etwas von sich ab, das symbolisieren wir über eine goldene Nuss, und so wird er zum lebendigen Menschen. Wir sehen im Verlaufe des zweiten Akts, wie er mit seiner eigenen Bewegungssprache kämpft.“

Um zu verdeutlichen, dass Klara im zweiten Akt ihre Umwelt anders sieht und erfährt als zuvor, wurde die Choreographie für die Divertissements an Künstler vergeben, die eine andere Tanzsprache als Demis Volpi haben. Und so hatten Mitglieder der Compagnie die Möglichkeit, sich (wieder) als Choreographen zu betätigen:

Den Spanischen Tanz schuf Neshama Nashman, Wun Sze Chan erarbeitete den Chinesischen Tanz, James Nix den Arabischen Tanz und Michael Foster den Tanz der Rohrflöten und Mutter Cigogne.
Die Mäuse wurden choreographiert von Bahar Gökten und Yeliz Pazar von Nutrospektif, um deren Streetdance-Sprache der Ballettsprache gegenüberzusetzen.

Nachdem Demis Volpi den Ballettfreunden eine Arbeitsprobe an einem pas-de-trois gezeigt hatte, gab Maurice Lenhard den „jungen“ Choreographinnen und Choreographen die Möglichkeit, ihre Ideen zur Gestaltung der Divertissements zu erläutern.

Insgesamt wird „Der Nussknacker“ in Düsseldorf und Duisburg 18-mal aufgeführt. Jeweils einige Tage vor den Premieren gibt es kostenlose Ballettwerkstätten, in denen die Protagonisten wertvolle Einblicke in die Aufführung geben.

Das Duisburger Publikum hat die Möglichkeit, die Aufführungen wirklich als Weihnachts- bzw. Silvesterereignis zu erleben.
Für Düsseldorf fallen die meisten Termine in die Herbstzeit. Die letzte Aufführung allerdings findet in Düsseldorf an Altweiber statt, am 24. Februar 2022.

Vielleicht ist dann Mund-Nasen-Schutz mit roter Pappnase angesagt. Bei der Arbeitsprobe dominierten noch weiße und hellblaue Masken.

Text: Axel Weiss; Fotos: Renate Weber-Zangrandi